Pretty Liar XXL-Leseprobe


 

Kapitel 1

 

May

 

 

Noch zwei Stunden, bis das passiert, von dem ich schon so lange geträumt habe. Um genau zu sein, zwei Stunden, acht Gänge und sicher fünf Gläser Wein für die Gäste. Dann erhebt Howard sein edel geschliffenes Bleikristallglas, stößt mit dem auf Hochglanz polierten Silberlöffel dagegen und verkündet unsere Verlobung.

 

Ich spüre, wie sich unter meinen Achseln Schweiß sammelt. Der zarte Stoff meines dunkelroten Kleides klebt regelrecht an meiner Haut, sodass ich trotz der Leute um mich herum nicht den Reflex unterdrücken kann, den Arm leicht zu heben und die Nase in Richtung Achsel zu drehen. Für einen Augenblick beruhigt, lasse ich den Arm sinken und schaue mich verstohlen im Speisesaal um. Keiner der Blicke haftet auf mir. Es ist, als ob ich unsichtbar wäre. Und so fühle ich mich auch.

 

In nur wenigen Stunden wird sich das ändern. Genau dann, wenn Howard ankündigt, dass wir heiraten werden. Ich werde dann eine von ihnen sein. Endlich.

 

Bis dahin muss ich bloß irgendetwas machen, sonst bin ich bald komplett durchgeschwitzt und rieche wie ein Pavian im Zoo, dessen Gehege nie gereinigt wird.

 

Wo sind denn hier die Toiletten? Suchend drehe ich mich im Kreis.

 

„Entschuldigung“, spreche ich einen der schwarz livrierten Kellner an und zupfe an seinem Sakko. Aber er geht einfach weiter, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

 

Unsichtbar.

 

So etwas Ähnliches hatte June zu mir vor zwei Monaten gesagt. Wir saßen in unserer Lieblingsbar in Chelsea, in die wir immer gingen, wenn sie nach New York kam und schlürften schon den dritten Cocktail.

 

Hatte sie mir diesen Floh ins Ohr gesetzt?

 

Wortwörtlich hatte sie mit besorgtem Gesicht gemeint, als ich ihr davon erzählt hatte, dass Howard und ich heiraten wollen: „Süße, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich freue mich für dich, wenn er der ist, den du willst.“

 

„Als meine beste Freundin könntest du ruhig etwas mehr Enthusiasmus zeigen“, war meine Antwort.

 

„Das tue ich ja auch, wenn du dir sicher bist, dass du glücklich mit ihm bist.“

 

„Also bist du dir nicht so sicher?“, hakte ich verletzt nach und kniff die Augen zusammen, um die Tränen der Enttäuschung zu unterdrücken. Von June hatte ich mir mehr Bestätigung gewünscht. Hier vor allen Leuten würde ich nicht anfangen, zu weinen. Nein!

 

„Ich … ich habe das Gefühl, du verschwindest immer mehr, seit ihr zusammen seid.“

 

„Du meinst, ich habe zu wenig Zeit für dich?“ Das war es also. Erleichtert atmete ich aus.

 

„Nein, das ist es nicht. Du bist nicht mehr du, May.“

 

„Natürlich bin ich ich!“ Entgeistert sprang ich von meinem Hocker auf. June legte mir eine Hand auf die Schulter und bat mich, mich wieder zu setzen.

 

„Ich meine, du wirst immer weniger“, erklärte June mir.

 

Ich schaute an meinem ehemals wohlgeformten Körper herunter. Seit Howard Andeutungen gemacht hatte, sich mit mir verloben zu wollen, waren bereits fünf Kilo verschwunden. Weitere fünf sollten noch folgen.

 

„Ach, das meinst du … meine Diät!“ Ich lachte June an.

 

„Neidisch?“

 

„Ganz und gar nicht. Ich meine nicht dein Gewicht, obwohl ich wirklich unfassbar finde, woher du plötzlich dieses Durchhaltevermögen nimmst. Ich meine dich. Deine Persönlichkeit, May. Du strahlst nicht mehr. Schon lange nicht. Alles scheint sich nur noch um Howard zu drehen! Du selbst verschwindest.“

 

Irgendwie spürte ich, dass sie recht hatte, obwohl ich es nicht wahrhaben wollte. Aber wer war ich, wenn ich nicht mehr ich war?

 

Howards Frau natürlich.

 

Einen Augenblick überlegte ich, ob ich es June sagen sollte, dass es ganz natürlich war, wenn man sich veränderte in einer Beziehung. Dass aus zwei Ich ein Wir wurde.

 

Aber ich hatte das dumpfe Gefühl, sie würde es nicht verstehen. Also schwieg ich.

 

 

 

Jetzt fällt mir unsere Unterhaltung wieder ein. Wo ist June eigentlich? Sie weiß sicher, wo man sich hier frisch machen kann. Ich hebe mein Glas ein wenig als Schutz vor irgendwelchen Remplern und dränge mich durch die Gäste in die Richtung, in der ich die Waschräume vermute.

 

Zwei junge Frauen, die ich noch nie gesehen habe, kommen kichernd aus einer breiten Tür. Sie reiben sich den Rest weißen Puders von der Nase und lachen dabei immer lauter. Als ich den Raum betrete, es ist wirklich die Toilette, sehe ich, wie an den Waschtischen noch mehr stehen und sich gerade ungeniert weißes Pulver auf einem Kosmetikspiegel zurecht legen.

 

Howards Bekannte. Ein gruseliger Haufen.

 

Ohne dass sie mich bemerken, gehe ich rückwärts wieder raus und schließe die Tür von außen.

 

Hinter dem Gang führt eine Treppe nach unten. Und dann entdecke ich auch endlich eine kleine Hinweistafel mit Pfeil, die mir zeigt, dass es dort noch weitere Toiletten gibt. Ich muss nur dem Schild folgen.

 

Ich verlangsame auf der Treppe wie automatisch meinen Schritt. Es ist, als ob mein ganzes Ich mich entschleunigen will, mich zur Ruhe bringen will und mir eine kleine Verschnaufpause gönnen möchte.

 

Ja, genieße diesen Moment!, sage ich mir im Stillen. Als ich versuche, in mich hineinzuspüren, bin ich überrascht. Ich merke nichts. Ich fühle nichts. Ich genieße auch nichts.

 

Komm, May, diesen Tag wirst du später deinen Kindern erzählen, den Enkelkindern und wer weiß noch wem.

 

Kein Wunder, dass der Moment mir den Schweiß unter die Achseln treibt.

 

Unten angekommen, sehe ich vor mir einen breiten Flur. Er ist mit feinem Hochfloorteppich ausgelegt. Rechts und links befinden sich große Türen. Sieht nach dem Lager des edlen Hotels aus, in dem wir feiern.

 

„Wie unpraktisch!“, sage ich kopfschüttelnd, denn es sieht so aus, als ob hier die Lieferanten ein und aus gehen. Sicher eine Menge Arbeit, den Bodenbelag sauber zu halten.

 

Meine Stimme klingt ganz gedämpft, alle Geräusche werden von dem dicken Teppich geschluckt. Alle, bis auf eins. Ich höre ein leises Maunzen.

 

O nein. Nicht, dass sich ein kleines Kätzchen in einem der Räume eingesperrt hat. Ich öffne die erste, auf der Veranstaltungstechnik steht und lausche. Nichts. Dann versuche ich es bei der nächsten, auf der Dekoration zu lesen ist. Aber auch hier finde ich nichts.

 

Gegenüber liegt eine, auf der Möbel steht. Ich öffne sie leise, um das kleine Tier nicht zu erschrecken und höre ein Rascheln.

 

Ich hole das Handy aus meiner Clutch und schalte die Taschenlampenfunktion ein. Sofort wird der helle Strahl von zwei ängstlich aufgerissenen Augen zurückgeworfen.

 

„Hey, hier bist du also …“ Ich taste nach dem Lichtschalter, drücke drauf und sofort wird der hallenartige Raum in ein moderates Licht getaucht. Überall stehen Tische, Kommoden und andere Gegenstände, scheinbar aus Hotelzimmern.

 

Ich bücke mich, um das Kätzchen zu locken und tatsächlich, als ich mit den Fingern ein wenig über den Teppich fahre, wird es neugierig und springt hervor. Zuerst erschrocken über seinen eigenen Mut, zuckt es kurz zurück, kann dann aber den schnell über den Boden tanzenden Fingern nicht widerstehen und versucht, mit seinen kleinen Pfoten sein neues Spielzeug zu fangen.

 

Vorsichtig, damit es sich nicht erschrickt, lasse ich meine Stola von den Schultern rutschen und lege sie sacht um das kleine Tier. Es ist ausgemergelt, die Rippen sind durch das weiche Fell zu sehen. Aber es hat keine Wunden und auch keine Stiche von irgendwelchen Parasiten.

 

Als ich es hochhebe und langsam über seinen flauschigen Bauch streichle, höre ich ein leises Schnurren.

 

Wer hätte gedacht, dass Howard und ich so schnell zu Nachwuchs kommen?

 

Ich muss es ihm unbedingt zeigen. Und dann muss ich dem Kleinen etwas zu essen und trinken besorgen.

 

Als ich wieder auf den Flur gehe, tritt eine junge Frau aus einer Tür weiter hinten, fährt sich durch das zerzauste Haar, streicht über die Hüften den Rock glatt, strafft die Schultern, atmet tief durch und kommt auf mich zu. Sie sieht aus wie eine der Bedienungen, die vorhin am Tisch ständig um Howard herumgeschwänzelt sind. Über der Tür sehe ich ein leuchtendes Hinweisschild, dass dort die Toiletten sind.

 

Mir schießt durch den Kopf, dass die Frau aussieht, als ob sie es gerade dort getrieben hätte.

 

Der Klassiker. Mir fällt schlagartig ein, was ich hier unten wollte. Ich laufe an der Frau vorbei und mache mich mit meinem kleinen Findling auf, um mein Outfit mit den inzwischen getrockneten Schweißflecken zu betrachten.

 

Howard wird mir nahelegen, die Stola sofort wieder umzuhängen, um die dunklen Ränder zu kaschieren.

 

Er hat es eben gerne perfekt.

 

Kopfschüttelnd öffne ich die Tür und stoße dabei fast mit einem Mann zusammen. Reflexartig strecke ich die Hand nach hinten, in der ich die kleine Katze halte, damit sie nicht eingequetscht wird.

 

Im ersten Augenblick bin ich so überrascht, dass ich gar nicht realisiere, wer es ist. Dann höre ich seine Stimme.

 

„Maylinn!“

 

„Howard?“

 

Ich trete einen Schritt zurück und stoße geschockt aus: „Nein!“

 

„Was?“, erwidert er irritiert.

 

„Das ist nicht wahr, oder?“ Mein Blick schweift von dem Lippenstiftrest an seinem Kragen – ein dunkles Lila, das ich nie tragen würde, weil es nicht zu meinen blonden Haaren passt – über den noch nicht geschlossenen Gürtel.

 

„Wie?“ Er dreht sich zum Spiegel, der neben uns die halbe Wand füllt. Auf ihm erkenne ich unzählige kleine Handabdrücke und daneben große. Es könnten Howards sein.

 

„Ist es das, was ich denke?“, würge ich hervor.

 

„Was denkst du denn?“ Er kneift die Augen zu Schlitzen zusammen.

 

„An den Klassiker. Fast Verlobter vögelt Kellnerin kurz vor Verlobungsverkündung.“

 

„May …“ Howard macht einen Schritt auf mich zu.

 

Ich winke ab.

 

Die kleine Katze wird unruhig und wühlt sich aus der Stola.

 

„Was hast du überhaupt für eine Ungezieferschleuder da?“

 

Er zeigt auf das Kätzchen und verzieht angewidert das Gesicht.

 

„Lenk nicht ab, Howard!“, flüstere ich. Warum ich so leise spreche, weiß ich selber nicht.

 

„Warum sollte ich? Wir haben nie über Treue geredet“, erklärt er mir trocken.

 

„Haben wir nicht? Na ja, vielleicht weil ich ganz selbstverständlich davon ausgegangen bin, dass man sich treu ist, wenn man beschließt, mit jemandem den Rest seines Lebens zu verbringen.“

 

„Das kann ich auch“, meint Howard und schiebt hinterher: „Wenn es dir wichtig ist.“

 

„Die ganzen langen Abende im Büro. Da hast du nicht gearbeitet, oder?“

 

„May, hör zu …“

 

„Pfff!“

 

Ich drehe mich um und merke, wie meine Beine wacklig werden. Sieht so das Ende des Abends aus? Meiner Zukunft? Meines Lebens? Howard hat recht. Wir haben nie über Treue geredet, auch nicht übers Fremdgehen. Aber hätte ich das müssen? Ist es nicht selbstverständlich, dass man nur Augen für den anderen hat, wenn man mit ihm zusammen ist? Oder bin ich einfach nur naiv?

 

Mit letzter Willensanstrengung trete ich auf den Flur, ziehe ihm die Tür vor der Nase zu und sehe mich um.

 

Auf der einen Seite erkenne ich die Treppenstufen, die mich wieder nach oben in mein neues Leben führen. Als Zukünftige von Howard Davenport. Er kann treu sein. Wir sind noch nicht verlobt. Sollte ich es ihm nicht verzeihen und darauf vertrauen, dass er auch anders kann?

 

Am anderen Ende des Flurs erstreckt sich eine Tür über die ganze Breite. Sie ist mit einem grünen Notausgangsschild versehen.

 

Ich schwanke. Dann höre ich ein leises Maunzen aus der Stola.

 

„Was soll ich nur tun?“, frage ich leise.

 

Hinter mir öffnet sich die Toilettentür.

 

„May?“, fragt Howard vorsichtig.

 

„Hmmm?!“

 

Auf einmal ertönt hinter ihm ein unterdrücktes Niesen. Eindeutig von einer Frau. Er sieht mich erschrocken an.

 

Wieder ein Niesen.

 

„Sag nicht, dass du da eben einen Dreier geschoben hast!“

 

„Ja, ach, was soll’s, May. Das ist jetzt Vergangenheit. Bitte … Gib mir eine Chance, ich kann es erklären und werde dich nicht mehr anlügen. Keine Geheimnisse mehr!“

 

Ich ziehe die Toilettentür von außen mit einem Knall zu. Das Geräusch ist für mich wie ein lauter Wecker. Plötzlich fühle ich mich, als ob ich aus einer langen Trance erwache und renne zielstrebig zum Ausgang, bevor meine Beine endgültig nachgeben.

 

 

 

 

Kapitel 2

 

Daniel

 

 

„Miss?“

 

Ich weiß nicht, wie sie dahingekommen ist. Aber plötzlich sitzt eine Frau zwischen den Containern und hält sich die Hände vors Gesicht. Neben ihr liegt eine kleine Decke, in der sich etwas bewegt.

 

„Misses?“, frage ich noch einmal aus dem heruntergelassenen Fenster meines gelben Cabs. Keine Antwort. Ich öffne die Tür und gehe zu ihr rüber.

 

Als ich diese Scheißwette verloren habe, da dachte ich, eine Woche Taxifahren in New York ist eine Woche Taxifahren in New York. Jetzt weiß ich es besser. In dem Job bist du Seelentröster, Beziehungsberater und manchmal einfach nur der, der um seine Zeche geprellt wird. Oder jemand, der sich nicht in Ruhe das Baseball-Spiel der Yankees gegen die Red Sox auf dem Handy anschauen kann. Der Grund, warum ich in dieser Sackgasse am Hintereingang eines Hotels geparkt habe.

 

„Kann ich etwas tun?“ Ich berühre sie leicht an der Schulter, als keine Antwort kommt. Sie fühlt sich zart an, verletzlich und das passt zu dem Anblick des zusammengesunkenen Häuflein Elends, das vor mir hockt. Von der Hauptstraße höre ich abwechselnd Polizeisirenen und die der Feuerwehr, dazwischen das nie enden wollende Hupen irgendwelcher frustrierten Autofahrer. Im Gegensatz dazu wirkt es hier fast idyllisch, bis auf den Geruch, versteht sich. Es ist etwas zwischen abgefahrenen Reifen, Abgasen und faulenden Abfällen.

 

„Soll ich Sie nach Hause bringen?“, versuche ich es noch einmal.

 

„Ich habe kein Geld“, höre ich sie zögerlich murmeln.

 

„Hmmm …“ Ich überlege einen Augenblick. „Und wenn ich Sie gratis fahre?“

 

„Ich habe auch keine Wohnung …“ Jetzt höre ich sie leise schniefen.

 

„Na ja, aber wie jemand, der keine Bleibe hat, sehen Sie irgendwie nicht aus …“, bemerke ich vorsichtig.

 

„Lange Geschichte …“ Sie winkt ab und hebt den Kopf. Ich sehe in wunderschöne, dunkelblaue Augen, strahlend und trotzdem geheimnisvoll. Sie sind wie ein See, in den ich eintauche und versinke.

 

Ich schüttle den Kopf, einfach nur, um dieses Gefühl loszuwerden, das mich plötzlich packt.

 

Sie interpretiert das Kopfschütteln völlig falsch und meint: „Na sehen Sie, ich bin ein hoffnungsloser Fall und Sie können auch nichts machen. Nett gemeint, aber ich komm schon klar.“

 

„Nein, ich meine, ja, also mich interessiert die Geschichte. Und ich habe Zeit …“

 

Ich mache Anstalten, mich neben sie zu setzen und verfluche mich innerlich für das, was ich tue. Ich habe meine Wettschulden zu begleichen. Das Taxameter ist mein Beweis und wenn ich nicht fahre, dann läuft es nicht. No way!

 

Sie macht eine abwehrende Handbewegung.

 

„Machen Sie es sich nicht zu bequem, ich wollte sowieso gerade gehen.“ Sie greift nach dem kleinen Bündel neben sich und will aufstehen. Reflexartig reiche ich ihr die Hand, die sie überrascht nimmt. Ihre Finger sind zart, die Haut weich und kalt, so als ob sie unter Schock steht, oder lange nichts Richtiges gegessen hat.

 

„Ups!“ Sie schwankt leicht und ich ergreife ihre Hüften, um sie aufzufangen. Als ich sie umfasse, bin ich wie elektrisiert. Ihr Körper scheint irgendwelche mysteriösen Impulse an mich auszusenden und obwohl ich überhaupt nicht weiß, wer diese Frau vor mir ist, habe ich das dringende Bedürfnis, sie an mich zu ziehen, beschützend die Arme um sie zu legen und die Hände durch ihr sogar im Halbdunkel glänzendes, blondes Haar streichen zu lassen.

 

„Schön langsam …“, murmle ich und bemühe mich dabei, nicht den Eindruck eines unberechenbaren Lüstlings zu machen.

 

„Geht schon“, will sie abwehren, gerät dabei aber wieder aus dem Gleichgewicht und drückt panisch das kleine Bündel an sich, das überrascht maunzt.

 

„Kommen Sie, ich nehme Ihr kleines Haustier und dann bringe ich Sie irgendwo hin.“ Sie löst sich von mir und ich kann sie zum ersten Mal genauer betrachten. Sie ist einen Kopf kleiner als ich, mehr als schlank, trägt ein dunkelrotes Kleid von einem Designer der oberen zehntausend, das ich gediegen nennen würde. Sie legt ihr Tuch, oder was auch immer es ist, mit einer kleinen, grau getigerten Katze in meine Hände. Für die Jahreszeit hat sie viel zu wenig an. Wie zur Bestätigung fährt eine Windböe um die Ecke und wirbelt trockene Blätter und Verpackungsmüll durch die Luft.

 

„Ich …“, fängt sie an und hält erschrocken inne.

 

„Ja?“

 

Sie sieht mich mit großen Augen an.

 

„Ich … ich meine, mir ist gerade aufgefallen, dass ich wirklich nirgendwo hin kann.“

 

„Aber Sie haben doch ein Zuhause?“ Warum interessiert mich das? Ich kenne sie doch gar nicht. Aber irgendetwas macht mich neugierig. Ich will wissen, wer sie ist und was sie am Hinterausgang dieses Luxushotels treibt.

 

Sie winkt so entschieden ab, dass alles klar ist.

 

Streit mit ihrem Typen.

 

Irgendwie bin ich enttäuscht. Auch wenn mir klar ist, dass so eine wunderschöne Frau natürlich vergeben sein muss.

 

„Also erst einmal nicht nach Hause …“ Ich streiche dem Kätzchen den flauschigen Kopf und bete, das es mich auf einen Einfall bringt, wie ich dieser Frau klarmachen kann, dass wir uns näher kennenlernen müssen.

 

„Nein, gar nicht mehr nach Hause. Es ist nicht mehr meins!“

 

Ihr Blick ist entschlossen.

 

„Dann überlegen wir, wohin ich Sie bringen darf!“, biete ich an. „Ich bin übrigens Daniel.“

 

„May.“ Sie nickt mir zu und schiebt hinterher: „Eigentlich Maylinn, aber meine Freunde nennen mich May. Und sag bitte du, sonst komme ich mir noch älter vor, als ich in diesem beschissen engen Kleid sowieso schon aussehe.“

 

Ich grinse. Die Frau sieht nicht nur gut aus, sie hat auch noch Humor.

 

„Also, May, steig ein, dann sehen wir weiter.“ Einladend öffne ich die Hintertür des Taxis.

 

„Ich sollte …“, setzt sie mit einem Blick zum Ausgang an, überlegt es sich aber anders und nimmt im Wagen Platz. Ich reiche ihr die kleine Katze, die, wie sie mit erstaunt hochgezogener Augenbraue feststellt, wohlig schnurrt.

 

Mein Handy klingelt. Es ist Paul. Sicher eine Kontrolle, ob ich auch fleißig bin. Ich drücke ihn weg und starte das Taxi.

 

„Bin wirklich kein Psycho oder so was“, erkläre ich und zeige auf das Taxifahrerschild über dem Navi, das Paul mit meinem Foto und seiner Lizenznummer wunderbar gefälscht hat.

 

Sie zögert.

 

„Ich hätte da einen Vorschlag …“, setze ich an und werfe ihr über den Rückspiegel einen Blick zu.

 

 


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